Obenstehendes Bild verwenden wir mit freundlicher Genehmigung der Museen Böttcherstraße, Bremen. Es trägt den Titel „Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag“ und stammt von Paula Modersohn-Becker. Zum Zeitpunkt, da sie es malte, war die Künstlerin nicht schwanger.


Tagung an der Ruhr-Universität vom 3.–5.12.2015

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„Wenn ich eine junge Frau wäre, 24 Jahre alt, und jetzt meine Eier einfrieren würde, würde ich mich am nächsten Tag sterilisieren lassen. Weil dann brauchen wir überhaupt keine Verhütung mehr. Das Endresultat Zukunft wird sein: Junge Eier einfrieren, junge Spermien einfrieren, sich sterilisieren lassen, und dann ist Sex und Reproduktion total separiert.

Der vollständigen Trennung von Sex und Reproduktion steht für Carl Djerassi, den Entwickler der Antibabypille, technisch kaum mehr etwas im Wege. Die derzeit geführte Diskussion über Praktiken des „Social Freezing“ zeigt, dass die Anwendung von Reproduktionstechnologien längst eine Ausweitung erfahren hat, die sich nicht auf medizinisch gebotene Einsätze beschränkt. Vielmehr werden sie zunehmend als Hilfsmittel genutzt, um Konvergenzen von Karriere und Privatleben zu ermöglichen. Ablesen lässt sich an dieser Entwicklung eine Diskursverschiebung, die individuelle Lebensentwürfe und politisch-gesellschaftliche Fragen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf in  den Einflussbereich fortgeschrittener medizinischer und biologischer Technologien verlagert. Damit verbindet sich zunehmend der Anspruch, die zuvor bestehenden Konflikte über den ‚richtigen Zeitpunkt‘ von Schwangerschaft mit Hilfe einer Überwindung natürlicher Prozesse zu lösen. Dieser Anspruch erfüllt den Wunsch nach einer immer autonomeren Lebensgestaltung auch der durch ihre Reproduktivphase bisher gebundenen Frauen und sehr offensichtlich auch ökonomische Desiderate. Samen- und Eizellspende sind angrenzende Themenbereiche, ebenso wie das Prinzip der Leihmutterschaft und der Umgang mit Abtreibung. Dem Wunsch nach einer zunehmenden, individualisierten Verfügbarkeit der körperlichen Reproduktionsmittel steht in der aktuellen Entwicklung die Fokussierung auf genau diese Performativität des Körpers in seinen reproduktiven Eigenschaften gegenüber. So unterschiedliche Begleitphänomene der Schwangerschaft wie die Umstandsmode und das häufige Screening des Ungeborenen mit bildgebenden Verfahren verweisen auf das Bedürfnis, die eigene Fruchtbarkeit und ihr Produkt zum lebensgeschichtlichen Projekt zu stilisieren, dessen dokumentarische und selbstinszenatorische Aspekte ein menschheitsgeschichtlich allgemeines Phänomen radikal individualisieren und damit auch legitimieren.


Als 1960 in den USA und 1961 auch in Deutschland die Antibabypille auf den Markt kam, war dies ein zwar ungleich größerer, strukturell aber ähnlicher Einschnitt in die Planbarkeit von Schwangerschaften und die daraus resultierenden Wahl- und Perspektivmöglichkeiten für Frauen und ihre Familien wie das „Social Freezing“ heute. Mit der geplanten Tagung „Erfüllte Körper – Inszenierungen von Schwangerschaft“ möchten wir die aufgemachte Zeitspanne zwischen den 1960er Jahren und der Gegenwart zum Anlass nehmen, um in ‚ganzheitlicher Perspektive‘ über Inszenierungen und Darstellungsverfahren von Schwangerschaften aus literaturwissenschaftlicher, medienwissenschaftlicher, kunsthistorischer und kulturhistorischer Perspektive nachzudenken.
Schwangerschaft verstehen wir dabei als Zustand des Übergangs und Werdens, als ein Schwellenstadium des Lebens, dessen „Natürlichkeit“ aktuell, ähnlich wie jene des Sterbeprozesses, immer fraglicher wird und das daher individuell inszeniert werden muss, während es gleichzeitig zum Kreuzungspunkt gesellschaftlicher Diskurse wird.
 

Ihre Teilnahme haben zugesagt:

Lucia Aschauer, Bochum
Andreas Bernard, Lüneburg
Astrid Deuber-Mankowsky, Bochum
Barbara Duden, Leipzig
Daniel Hornuff, Karlsruhe
Christine Kanz, Gent, Belgien
Waltraud Maierhofer, Iowa City, USA
Lisa Malich, Berlin
Cristina Mazzoni, Burlington, USA
Katja Sabisch, Bochum
Cornelia Schadler, München
Monika Schmitz-Emans, Bochum
Regina Schulte, Bochum/Berlin
Stefan Willer, Berlin
 

Konzept und Organisation:

Dr. Simone Sauer-Kretschmer und Dr. Stephanie Heimgartner
Sektion Komparatistik
Ruhr-Universität Bochum
simone.sauer@rub.de
stephanie.heimgartner@rub.de